Albanien: Rätselraten um Zahl der orthodoxen Christen

Die Zahl der orthodoxen Christen in Albanien scheint zu einem Politikum zu werden: In dem südosteuropäischen Land leben laut einer Volkszählung von 2011 knapp 250.000 albanisch-orthodoxe Christen, was 6,75 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Der Weltkirchenrat zieht diese Zahl in Zweifel.

In einem offenen Brief an Heiner Bielefeldt, den UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, beruft sich der Generalsekretär des Weltkirchenrates, Olav Fykse Tveit, auf eine Erhebung, welche die Orthodoxe Kirche von Albanien im Dezember 2012 selbst vorgenommen hatte.  Sie verteilte an zwei Adventssonntagen Fragebögen zum Ablauf der Volkszählung an Gottesdienstbesucher in verschiedenen albanischen Städten. Den Angaben zufolge füllten 7.118 Personen die Bögen vollständig aus. Die Auswertung ergab, dass rund zwei Drittel der Befragten von den Volkszählern nicht nach ihrer Religionszugehörigkeit befragt wurden oder gar nicht erst besucht worden waren.  Die Orthodoxe Kirche erachtet die Ergebnisse des Zensus daher als fehlerhaft und geht stattdessen von mehr als 24 Prozent orthodoxen Christen in Albanien aus. Bis zur Volkszählung 2011 gab es überhaupt keine Statistik zur Religionszugehörigkeit in Albanien. Die letzten Zahlen stammten aus den vierziger Jahren, als das Land noch vom faschistischen Italien verwaltet wurde. Damals gab es rund 70 Prozent Muslime, 20 Prozent orthodoxe Christen und zehn Prozent Katholiken.  Von 1944 bis 1990 war Albanien kommunistisch regiert. 1967 erklärte die kommunistische Führung Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt, in dem ein allgemeines Religionsverbot herrschte. Freie Religionsausübung war erst nach 1990 wieder möglich.  Der Zensus war die erste Gelegenheit seit langem, wieder amtliche Daten zur Religion in Albanien zu bekommen. Wie der Europarat in einem Positionspapier vom November 2011 lobend erwähnt, wurden Fragen zur ethnischen und religiösen Zugehörigkeit offen und auf freiwilliger Basis gestellt. Damit hatten die Befragten zum ersten Mal die Möglichkeit, sich religiös und ethnisch zuzuorden.  Etwa drei Monate vor der Zählung wurde im Gegensatz dazu ein Gesetz erlassen, das Bußgelder vorsah, falls die persönlichen Angaben nicht mit den standesamtlich erfassten Daten übereinstimmen sollten. Bis 2011 waren Angehörige der griechischen und mazedonischen Minderheiten dazu verpflichtet, ihre ethnische Zugehörigkeit in der Geburtsurkunde festhalten zu lassen, allerdings nur in "Minderheitenzonen". Diese Zwangsregistrierung sollte zur Wahrung bestimmter Minderheitenrechte beitragen.  Außerhalb der "Minderheitenzonen" wohnende Griechen und Mazedonier wurden nicht erfasst, die Daten sind also fehlerhaft. Der Europarat kommt daher zu dem Schluss, dass die Ergebnisse der Volkszählung mit äußerster Vorsicht verwendet werden sollten. Die überwiegend christlich-orthodoxen Griechen und Mazedonier machen laut dem Zensus weniger als zwei Prozent der albanischen Gesamtbevölkerung von rund 3,2 Millionen aus.  Wegen der Bußgelder hatte es vor der Volkszählung Boykottaufrufe von verschiedenster Seite gegeben. Dementsprechend verweigerten etwa 14 Prozent der Befragten eine Aussage zu Ethnie und Religion.  Konrad Clewing vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg geht davon aus, dass es tatsächlich mehr als 6,75 Prozent orthodoxe Christen in Albanien gibt. Die von der orthodoxen Kirche postulierten 24 Prozent hält der Wissenschaftler aber für zu hoch. Stattdessen sei eine Zahl von zehn bis höchstens 15 Prozent wahrscheinlich. Die orthodoxen Gemeinden schrumpften seit Jahren wegen der Abwanderung nach Griechenland und fehlender Konversionen. Zudem habe der jahrzehntelange Staatsatheismus Spuren hinterlassen. Unter den 14 Prozent, die eine Angabe verweigert hätten, seien nicht nur Christen, sondern auch albanische Nationalisten gewesen.  Eine höhere Mitgliederzahl hätte für die albanisch-orthodoxe Kirche keine finanziellen Vorteile, könnte ihr nach Clewings Einschätzung aber ein größeres Gewicht im politischen Diskurs geben.