Simon Trpcevski: Ein Chopin-Versteher

Das kurzfristig realisierte Gastspiel von Simon Trpceski beim Kammermusikfestival „Festivo“ war ein Joker in jeder Hinsicht. Mit dem gebürtigen Mazedonier präsentierte sich in Aschau ein Pianist, den man im deutschen Sprachraum nicht wirklich auf dem Schirm hat. Kaum zu glauben, denn in der Festhalle Hohenaschau war ein Exeget allererster Güte zu erleben, der Partituren überaus stilgerecht und zeitgemäß befragt.

In Amerika und England hat man das schon längst verstanden. Dort tritt er regelmäßig mit den Spitzenorchestern auf. So war die jetzige Absage von Jean-Yves Thibaudet bei Festivo gewissermaßen ein Glücksfall, trotz der traurigen Umstände. Sein Aschauer Gastspiel musste der Franzose aus familiären Gründen spontan absagen. Wie zu hören war, habe sich der Zustand der erkrankten Mutter von Thibaudet erheblich verschlechtert.

Jetzt aber zum Konzert: Was Trpceski zu bieten hat, das ist wahrlich ganz große Kunst. Von Anfang an nahm sein Spiel gefangen. Sein Konzert startete er mit Frédéric Chopin: die „Vier Mazurken“ op. 24, die „Nocturnes“ Nr. 2 und 1 aus op. 48 und das „Scherzo“ op. 20 Nr. 1. Ein Chopin kam zu Gehör, wie man ihn sich mustergültiger nicht denken kann. Statt Chopin im Dauerlegato romantisierend zu verkitschen, glänzte Trpceski mit gestochen klarer Artikulation und wohldosiertem, kenntnisreichem Einsatz des Pedals.

Bei Chopin ist das Pedal ganz entscheidend. Er hat es sehr sparsam und gezielt eingesetzt, war generell sehr klar in der Artikulation und Phrasierung. Dies hat Trpceski zielgenau verinnerlicht: Mit nobler, wohltuend unaufgeregter Differenzierung ging er ans Werk, schattierte feinsinnig die Dynamik aus, zauberte ein fragil-luzides Piano aus den Tasten. Noch dazu hatte Trpceski keine Angst vor der Stille.

Er kostete die Pausen aus, integrierte sie zwingend, womit die Musik in Raum und Zeit atmen konnte. Umso dramatischer wirkten die Ausbrüche. Trpceski hat ein stupendes Gespür für die innere Dramaturgie dieser Musik. Er ist ein Chopin-Versteher. Klug war auch das weitere Programm gewählt: Nach der Pause wurde dieser Chopin mit Maurice Ravel und Francis Poulenc gekoppelt – ein Brückenschlag zur aktuellen CD von Trpceski. Er machte hörbar, wie sehr die beiden großen Komponisten der frühen französischen Moderne von Chopin vorbereitet wurden. Wie bei Chopin entwickeln Ravels „Valses nobles et sentimentales“ im melancholischen Schmerz zusehends eine fast schon diabolische Abgründigkeit. Darüber hinaus kreiert auch Poulenc in den „Improvisations“ sowie den „Novelettes“ einen verträumten, klangpoetischen Zauber. Großer Beifall und mehrere Zugaben: Dieser Abend klingt lange nach.