Tagespost: Schwierige Nachbarn am Balkan


Die viele Monate währende Regierungskrise in Mazedonien hat sich zu einer veritablen Staats- und Verfassungskrise ausgeweitet – und eine Lösung ist nicht in Sicht. Als balkanische Querelen hätten dies noch vor zwei Jahren die meisten Politiker auf dem internationalen Parkett wohl abgetan, doch spätestens seit sich Mazedonien in der Flüchtlingskrise 2015 als Schlüsselland auf der Balkanroute erwies, hat das kleine Land viel internationale Aufmerksamkeit.

Für viele ausländische Beobachter stellt sich die aktuelle Frontlage so dar: Der Präsident Mazedoniens, Gjorgje Ivanov, weigert sich, eine Regierung der bislang oppositionellen Sozialdemokraten (SDSM) mit drei Parteien der albanischen Volksgruppe zu akzeptieren, obgleich diese zusammen 67 der 120 Parlamentssitze repräsentieren. Der Präsident stehe der bisher regierenden national-konservativen VMRO-DPMNE nahe, sei gar ein „Erfüllungsgehilfe von VMRO-Chef Nikola Gruevski“, ist in westlichen Zeitungen zu lesen. Weiter wird spekuliert, es gehe eigentlich darum, eine Strafverfolgung gegen Gruevski wegen Korruption und Machtmissbrauch in seiner Zeit als Ministerpräsident zu verhindern. Andere spekulieren, Ivanov und die VMRO wollten die Gleichberechtigung der Albaner – die rund 25 Prozent der Einwohner Mazedoniens stellen – blockieren.

Tatsache ist, dass der Chef der Sozialdemokraten, Zoran Zaev, dem Präsidenten ein Ultimatum bis kommenden Sonntag stellte, ihn mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Tatsache ist weiter, dass Ivanov dies zuletzt am Montag ablehnte. Und eine Tatsache ist auch, dass das Parlament seit den Wahlen vom 11. Dezember nur einmal zusammentrat, bei dieser konstituierenden Sitzung allerdings daran scheiterte, einen Parlamentspräsidenten zu wählen. Weniger faktengestützt ist die These, Ivanov verweigere der parlamentarischen Mehrheit die Regierungsbildung aus parteipolitischen Gründen – also um die ihm nahestehende VMRO zu schützen – oder aus nationalistischen Motiven – um der albanischen Volksgruppe weitere Rechte zu verwehren.

Mazedoniens Albaner sind keineswegs ein homogener Block: Ihre stärkste Partei koalierte jahrelang mit der VMRO. Bei den jüngsten Wahlen traten vier albanische Parteien an. Drei von ihnen fanden zu einer „albanischen Plattform“ zusammen, als sie in der albanischen Hauptstadt Tirana vom dortigen Regierungschef Edi Rama bearbeitet wurden. Genau da liegt nun Ivanovs Problem, wie Vertraute des Präsidenten im Gespräch mit dieser Zeitung schildern: Die Interventionen des albanischen Regierungschefs und des kosovarischen Präsidenten in die mazedonische Regierungsbildung zerstöre die Vertrauensbasis zwischen Mazedoniern und Albanern im Lande. Aus der Konfrontation zwischen politischen Parteien der je eigenen ethnischen Gruppe werde dadurch eine inter-ethnische Konfrontation, so ein Vertrauter Ivanovs.

Auch die westliche Fama, die nationalistische VMRO stemme sich gegen Volksgruppenrechte für die albanische Minderheit, lassen Experten nicht gelten: Durch eine weitgehende Dezentralisierung seien schon bisher die Volksgruppenrechte gesichert, etwa – wo Albaner mehr als 20 Prozent stellen – die Zweisprachigkeit von der Grundschule bis zur staatlichen Universität, vor Gerichten wie bei Behörden. Die „Plattform“ fordere nun aber einen binationalen Staat mit zwei Landessprachen, neuen Staatssymbolen und neuem Namen.

„Der Regierungschef des Nachbarlandes mischt sich massiv in die Innenpolitik und Regierungsbildung Mazedoniens ein und wird in seinen Forderungen vom Staatsoberhaupt eines weiteren albanisch dominierten Landes, des Kosovo, unterstützt“, so ein Mazedonien-Experte gegenüber der „Tagespost“. In Skopje stoße das übel auf, zumal Mazedonien den Kosovo „auch auf Kosten von serbischen diplomatischen Gegenaktionen“ immer unterstützt habe. Zehntausende Mazedonier gingen dagegen, und für die Einheit des Landes bereits auf die Straßen. Nicht überall friedlich: In Bitola warfen Demonstranten einen Brandsatz auf das Museum der albanischen Sprache.

Das kleine Mazedonien lebte fast immer in seiner Geschichte mit der Feindschaft, Übergriffigkeit und meist sogar unter der Fremdherrschaft seiner Nachbarn. Bis heute blockiert Athen die EU-Annäherung Mazedoniens im Streit um Geschichte und Staatsnamen. Serbiens starker Mann, Regierungschef und Präsidentschaftskandidat Aleksandar Vucic, hält den serbischen Oppositionsparteien vor, ein „mazedonisches Szenario“ zu provozieren. Und die beiden albanischen Nachbarn – Albanien und der Kosovo – untergraben das mühsam gefundene inter-ethnische Gleichgewicht in Mazedonien, indem sie die Albaner-Parteien des Landes zu illusorischen Forderungen ermutigen. In dieser Gemengelage verstehe sich Präsident Ivanov als Verteidiger der Verfassung und der Unabhängigkeit des Staates, heißt es aus seiner Umgebung.