Wiener Zeitung: Interview mit Osmani Für uns geht die Sonne im Westen auf

Mazedoniens Vizepremier Bujar Osmani erklärt, warum es für sein Land keine Alternative zum EU- und Nato-Beitritt gibt.


Als Test für die neue mazedonische Regierung gelten die Kommunalwahlen am 15. Oktober. Nach einer monatelangen Verfassungskrise, nach Demonstrationen und Ausschreitungen konnten die Sozialdemokraten gemeinsam mit albanischen Parteien im Juni die von Korruptions- und Abhöraffären erschütterte nationalkonservative VMRO-DPMNE an der Macht ablösen. Das Kabinett von Premier Zoran Zaev will das Land wieder der EU annähern und die Minderheitenrechte der Albaner stärken, die ein Viertel der rund zwei Millionen Einwohner Mazedoniens stellen.

"Wiener Zeitung": Laut einer aktuellen Umfrage ist das Vertrauen der Mazedonier in Ihre Regierung wieder gestiegen. Dennoch glaubt nicht einmal die Hälfte der Befragten, dass die politische Situation in ihrem Land stabil ist. Was wollen Sie dem entgegensetzen?

Bujar Osmani: Wir haben eine schwere politische Krise hinter uns. Das Vertrauen in die Institutionen wurde erschüttert, unser Image im Ausland beschädigt. Wir sind von unserem Weg Richtung EU und Nato abgekommen. Daher war es für die neue Regierung vor allem zunächst einmal wichtig, eine reibungslose Machtübernahme zu gewährleisten. Die höchste Priorität ist nun, das Land wieder auf seinen Weg der EU-Integration zurückzubringen.

Das wiederum ist nicht zuletzt an einen Reformprozess geknüpft.

Die Krise hat etliche Systemfehler ans Licht gebracht. Die müssen wir beheben. Wir haben einen Plan entwickelt, den wir "Drei, sechs, neun" nennen. In den ersten drei Monaten wollten wir die Kommunalwahlen vorbereiten. Die sollen frei, fair und glaubwürdig verlaufen. Das ist der erste Test für die Regierung. Ich glaube daran, dass sich deren Einstellung eben an Wahltagen zeigt: Da ist zu sehen, wie eine Regierung Medien behandelt, die Wähler, die Institutionen. Die Etappen "sechs" und "neun" widmen sich Reformen in mehreren Bereichen: der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, im Sicherheitsapparat, in der öffentlichen Verwaltung.

Wo platzieren sich die EU-Ambitionen?

In den ersten sechs Monaten unserer Regierungszeit. Beim EU-Gipfel zu Jahresende hätten wir gern eine uneingeschränkte EU-Empfehlung, die Beitrittsverhandlungen mit der Union zu beginnen. Die letzte Empfehlung war nämlich an Bedingungen geknüpft: Durchführung glaubwürdiger Wahlen und Einleitung notwendiger Reformen. Die Reformetappe "neun" wiederum läuft bis April des kommenden Jahres, wenn die EU-Kommission den nächsten Bericht zu Mazedonien veröffentlicht, der hoffentlich positiv ausfällt und zur Folge hat, dass wir ein Datum für den Start der Beitrittsgespräche erhalten.

Was passiert aber, wenn der Plan von Neuwahlen durchkreuzt wird? Es gibt jetzt schon Spekulationen darüber, dass, falls die ehemalige Regierungspartei kommende Woche gestärkt wird, sie einen vorgezogenen Urnengang anstrebt.

Ich glaube nicht, dass das gut für das Land wäre. Für Mazedonien ist eine Rückkehr auf den EU-Pfad wichtig - und Kontinuität. Wir müssen an unserem Reformprozess festhalten und politische Hürden aus dem Weg räumen.

Eine der größten Hürden liegt in Griechenland. Wie wollen Sie die EU- und Nato-Blockade Athens, das den Namen Mazedonien nicht anerkennt, überwinden?

2018 bietet eine goldene Chance, den Namensstreit zu lösen. Wir erwarten, dass nach den Kommunalwahlen der UN-Vermittler konkrete Vorschläge präsentiert. Dann sollten wir uns zusammensetzen und das Problem lösen. Das ist entscheidend für eine künftige Mitgliedschaft Mazedoniens in der Nato und EU.

Warum sollte 2018 etwas gelingen, was in den vergangenen Jahren unmöglich schien?

Was wir aus der Krise gelernt haben, ist Folgendes: Wenn wir von unserem Integrationsweg abweichen, wird es zu einem Problem für die gesamte Region. Wir müssen daher ständig in Bewegung bleiben - Richtung EU. Das sorgt für eine positive Dynamik. Und es herrscht nun eine bessere Atmosphäre zwischen Griechenland und Mazedonien. Es gibt häufige Treffen zwischen den Außenministern und anderen Regierungsmitgliedern. Wir versuchen, Vertrauen aufzubauen, nicht nur gute Nachbarn, sondern auch Freunde zu werden. Es gibt ein rationales Kernproblem, und um das sind viele emotionale Schichten gewickelt. Diese Schichten wollen wir nun eine nach der anderen abschälen.

Ich bezweifle nicht, dass Skopje sich bemüht. Aber trifft das in Athen auf fruchtbaren Boden?

Wir erhalten positive Signale aus Griechenland, dass es auch dort den Willen gibt, eine gemeinsame Lösung zu finden. Es würde doch den Bürgern beider Länder nutzen, wenn die EU-Perspektive eines Staates und einer Region nicht weiter versperrt wird.

Diese Pattsituation besteht nun seit Jahren. Führt das zu wachsender Enttäuschung auch über die EU, die ihr Mitglied Griechenland gewähren lässt?

Laut aktuellen Umfragen sehen 72 bis 75 Prozent der Mazedonier die EU positiv. Auch wenn die Zustimmung früher schon einmal bei mehr als 80 Prozent gelegen ist, ist sie noch immer hoch. Die Menschen sehen keine Alternative zu EU sowie Nato, und keine Partei bietet eine solche an. Aber es stimmt: Wir treten auf der Stelle. Mazedonien ist seit 2005 EU-Kandidat. Zu der Zeit hat Montenegro als eigener Staat noch nicht einmal existiert. Mittlerweile hat es bereits Beitrittsverhandlungen aufgenommen, und wir haben noch nicht einmal ein Datum dafür. Das löst Frustrationen aus, doch den Menschen ist bewusst, dass Mazedonien auch bereit sein muss, in die EU und Nato aufgenommen zu werden.

Führen die Frustrationen dazu, dass die EU an Einflusskraft verliert - und andere Akteure das ausnutzen? Zum Beispiel Russland?

Ja, Mangel an bestimmten Perspektiven eröffnet Chancen für andere, ihre Einflusssphären zu erweitern. Deswegen ist es so wichtig, wieder die EU-Perspektive in den Fokus zu rücken, die Präsenz der Union zu zeigen. Diese stellt immerhin 640 Millionen Euro bis 2020 zur Verfügung, für Projekte im Bereich des Umweltschutzes, der Ausbildung, der Verwaltung. Ich sage immer: Alles, was gut für dieses Land war, geschah mit Unterstützung der EU und USA. Es gibt keine Alternative für uns. Für uns geht die Sonne im Westen auf.

QUELLE: WIENER ZEITUNG